2003 bis 2004: Vereinheitlichung der Tierschutzgesetze

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In Österreich gelten bis 2004 zehn verschiedene Landestierschutzgesetze, die unterschiedliche Bestimmungen enthalten. 2003 kommt der Nationalrat der Forderung des Tierschutz-Volksbegehrens von 1996 nach und bringt ein Tierschutzgesetz auf Bundesebene auf den Weg (1).

Ende 2003 geht das neu ausgearbeitete Tierschutzgesetz in eine Begutachtungsphase, in der Verbesserungsvorschläge und Anregungen öffentlich eingesammelt werden. Der vorgeschlagene Gesetzestext enthält das Verbot der ständigen Anbindehaltung (2).

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Das Bundestierschutzgesetz gibt nur den Rahmen der Tierhaltung vor. Die genauen Haltungsvorschriften werden hingegen von Verordnungen geregelt. Die Landwirtschaftskammer kritisiert, dass dies zu Planungsunsicherheit bei den Landwirt_innen führe. „Sensible Fragen”, wie die Anbindehaltung, sollten laut ihr auf Gesetzesebene geregelt werden. Darüber hinaus fordert die Landwirtschaftskammer eine „Korrektur im Sinne unserer Rinderhalter”, da die neue Regelung ansonsten kleine Betriebe im Berggebiet gefährde (3).

Die Bäuer_innenvertretung fürchtet kurz vor der EU-Erweiterung 2004 die Konkurrenz von zehn weiteren Ländern. Sie will daher keine strengere Regelungen der Rinderhaltung als es der EU-Standard vorsieht und fordert eine EU-weite Lösung (4).

Zeitgleich mit der Einreichung der Vorlage für das Tierschutzgesetz bringen die Grünen auf Bundeslandebene einen Antrag in den Wiener Landtag ein. Sie wollten das Ländergesetz in Wien so ändern, dass die Anbindehaltung verboten wird. Das Gesetz soll auch explizit enthalten, dass die Anbindehaltung nicht mehr tiergerecht ist. Viele Länder befürchten, dass das bundeseinheitliche Gesetz ihre Tierschutzgesetze aufweicht (5), (6).

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Verordnungen schwächen das Gesetz

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Nach Veröffentlichung der Verordnungen ist ersichtlich, dass die Befürchtungen der Länder berechtigt sind. Das bundeseinheitliche Tierschutzgesetz mit den zugehörigen Verordnungen setzt viele Tierschutz-Standards der Länder herab (7). Verbote, die in einigen Ländern schon durchgesetzt waren, wie das Käfigverbot für „Legehennen”, werden aufgehoben.

Auch das angekündigte Verbot der Anbindehaltung hält durch die Regelung mittels Verordnung nicht, was es verspricht. Die Verordnung stellt dem Verbot eine Reihe von Ausnahmen entgegen. So kann das Verbot ausgesetzt werden, wenn keine geeigneten Auslaufflächen vorhanden sind oder bauliche Gegebenheiten beziehungsweise Sicherheitsaspekte für Mensch und Tier keinen Auslauf zulassen (8).

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Trotz Kritik werden die neuen Rechtsvorschriften angenommen

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Die geplanten neuen Rechtsvorschriften werden breitflächig kritisiert. Auf der einen Seite stehen Tierschutzorganisationen, denen die Vorgaben zu lasch sind (9). Auf der anderen Seite positionieren sich Landwirt_innen, denen die neuen Verordnungen zu wenig Rechtssicherheit geben (10). Laut Tierschutzsprecherin der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) Ulli Sima höhlen die Ausnahmen das gesamte Verbot der Anbindehaltung aus (11).

Am 19.05.2004 einigen sich Regierungs- und Oppositionsparteien in einer nächtlichen Sitzung in Bezug auf das Bundestierschutzgesetz. Diese Gesetzesvorgabe soll am 27.05.2004 im Nationalrat beschlossen werden (12). Das Gesetz soll ab 01.01.2005 in Kraft treten. Damit ändert sich auch die Zuständigkeit in den Ministerien. Von nun an ist der_die Gesundheits- und Frauenminister_in auch für den Tierschutz zuständig (13).

Es folgen Jahre, in denen die ganzjährige Anbindehaltung verboten ist und die Tiere zumindest an 90 Tagen im Jahr Auslauf erhalten müssen. Gleichzeitig existiert das Verbot faktisch nicht, weil die zugehörige Verordnung so viele Ausnahmefälle nennt.

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2016 bis 2017: Novellierung des Tierschutzgesetzes sowie der Tierhaltungsverordnung

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Die österreichische Regierung bringt im Dezember 2016 zwei Novellierungs-Vorschläge in Begutachtung. Diese behandeln zum einen die Änderung des Tierschutzgesetzes und zum anderen die Änderung der Verordnung für landwirtschaftliche Tierhaltung. Unter anderem geht es um Änderungen bezüglich der Anbindehaltung.

Zahlreiche Organisation und die Opposition kritisieren die Entwürfe (14), (15), (16), (17), (18), (19), da die Anbindehaltung weiterhin durch Ausnahmeregelungen legal bleiben soll. Die Volksanwaltschaft bringt einen Änderungsantrag ein, der Ausnahmen zum Verbot lediglich in begründeten Einzelfällen und zeitlich befristet zulässt (20). Die Tierschutznovelle bringt es insgesamt auf 660 Einsprüche (21).

Der Nationalrat beschließt im März 2017 die Novelle des Tierschutzgesetzes. Der Änderungsantrag der Volksanwaltschaft wurde nicht umgesetzt. Die zahlreichen Ausnahmen des Anbindeverbots sind von nun an im Tierschutzgesetz zementiert (22). Dies kommt einer Legalisierung der Haltungsform gleich. Bei den vielen Ausnahmen findet sich immer ein Grund, den Tieren keinen Auslauf zu gewähren (23).

Im darauffolgenden Juni erlässt das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen die Novelle zur 1. Tierhaltungsverordnung (24). Die Ausnahmen zum Verbot werden aus der Verordnung gestrichen, da sie, wie erwähnt, nun im Tierschutzgesetz festgeschrieben sind. Das zuvor genutzte Argument, dass die Ausnahmen gesetzeswidrig sind, hat nun keine Basis mehr. So müssen weiterhin unzählige Rinder ihr Dasein in der tierschutzwidrigen Anbindehaltung fristen (25).

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2021 bis 2022: Das Aus der Anbindehaltung?

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2021 startete eine Gruppe um den Aktivisten Sebastian Bohrn Menas ein neues Tierschutz-Volksbegehren. Es zielt vor allem auf eine systemische Verbesserung für sogenannte Nutztiere ab. Punkt 1.1. im Forderungskatalog verlangt, dass die Haltungsformen die Grundbedürfnisse der Tiere befriedigen müssen. In der genaueren Ausführung heißt es an erster Stelle, dass es den Tieren möglich sein muss, sich ausreichend zu bewegen (26).

Knapp eine halbe Million Menschen unterschreiben das Volksbegehren. Unter Zugzwang arbeitet die Politik ein Tierschutzpaket aus, das sie im Mai 2022 präsentiert. Es wird nach einem Begutachtungszeitraum im Juli im Parlament von den Regierungsparteien, der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und den Grünen beschlossen (27).

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Enthalten ist eine Neuregelung zur ganzjährigen Anbindehaltung. Das seit Jahren existierende Verbot soll durchgesetzt und die Ausnahmen gestrichen werden –allerdings erst ab 2030, da die Landwirt_innen Zeit für den entsprechenden Umbau benötigten.

Von Seiten der Tierschutzorganisationen hagelt es Kritik. Sie bemängeln, dass die Übergangsfrist zu lang sei. Weiters kritisieren sie, dass die saisonale Anbindehaltung unangetastet bleibe. Rund 40 Prozent aller sogenannten Milchkühe in Österreich werden an bis zu 275 Tagen im Jahr angebunden. In einem Zeitraum von neun Monaten im Jahr muss den Tieren also keine Bewegungsmöglichkeit gewährt werden (28).

Auch in Österreich bringen andere Sektoren wie die Politik mehr Bewegung in die Thematik. Ende Juli kündigt der AgrarMarkt Austria (AMA) an, dass es ab Ende 2023 keine Gütesiegel mehr für Betriebe mit ganzjähriger Anbindehaltung geben wird (29). AMA wurde im Zuge des EU-Beitritts Österreichs damit betraut, den Absatz heimischer landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu fördern. Dieses Ziel verfolgen sie mit Hilfe von unter anderem Werbung und Gütesiegeln (30). Die österreichische Molkerei Berglandmilch kündigt an, ab dem ersten Jänner 2025 keine Milch von Betrieben mit ganzjähriger Anbindehaltung abzunehmen (31).

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Zum Mitnehmen

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Die Chronologie zeigt, dass sich die Politik von der Agrarlobby von der konsequenten Umsetzung eines Verbots jeglicher Anbindehaltung bremsen lässt. Obwohl Tierschutzorganisationen und die Gesellschaft seit Jahrzehnten gegen diese tierschutzwidrige Haltungsform Widerstand zeigen.

Nach langanhaltender Diskussion wurde im Juli 2022 in Österreich beschlossen, dass das Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung ab 2030 ausnahmslos umgesetzt werden soll. In Deutschland wird mit dem in 2023 angefangenen Prozess der Änderung des Tierschutzgesetzes der Ausstieg aus der ganzjährigen Anbindehaltung verhandelt. In der Schweiz gibt es derzeit auch keine Bewegung in der Diskussion. In allen drei Ländern bleibt die Kombinationshaltung weiterhin erlaubt.

Dies hat nichts mit einer konsequenten Politik zu tun! Es ist weit entfernt von dem, was sich die breite Gesellschaft von der Politik wünscht: Gesetze, die tierquälerische Haltungsformen verbieten. Stattdessen schützt die Politik die Interessen einiger weniger und das auf Kosten der Tiere. Was die Anbindehaltung für die Tiere bedeutet, zeigen wir in dem Artikel „Angebunden – Was die veraltete Haltungsform für Rinder bedeutet” auf.

Durch die kürzlich beschlossene konsequente Umsetzung des Verbots der ganzjährigen Anbindehaltung ab 2030 kommt wieder Bewegung in die Diskussion. Dies ist der Moment für Tierschutzorganisationen und der engagierten Öffentlichkeit vermehrt aktiv zu werden. Jetzt gilt es Druck auszuüben, damit nicht nur die ganzjährige, sondern auch die saisonale Anbindehaltung verboten wird – und zwar jetzt und nicht erst in acht Jahren!