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April 7, 2022

Zootechnische Eingriffe verstümmeln nichtmenschliche Tiere, um sie an Haltungsbedingungen anzupassen.

Zootechnische Eingriffe

Routinemäßige Verstümmelungen sind ein alltäglicher Bestandteil der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Fachsprachlich bezeichnet man die Eingriffe als zootechnische oder nicht-kurative Maßnahmen. Letzteres bedeutet, dass sie aus tiermedizinischer Sicht nicht notwendig sind (1).

Das Tierschutzgesetz gibt ein Amputationsverbot vor, erlaubt jedoch durch Ausnahmeregelungen verschiedene Amputationen und Operationen – sogar ohne Schmerzbehandlung (2).

Mithilfe der Eingriffe passen die Landwirt_innen Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Hühner, Puten, Enten und Wachteln an die betrieblichen Haltungsbedingungen an (3), (4). Sie ermöglichen eine Haltung in kargen und engen Stallsystemen.

Die Praktiken erleichtern das Management und steigern die Produktivität und damit Wirtschaftlichkeit der Tierhaltung (5). Ein weiterer Grund für nicht-kurative Operationen ist die Produktqualität: Die Kastration von Schweinen verändert die Fleischbeschaffenheit und reduziert das Auftreten des sogenannten Ebergeruchs (6).

Statt die Haltungsbedingungen und das Management in den Produktionsbetrieben zu ändern – also die Ursachen abzustellen – setzen zootechnische Eingriffe auf der symptomatischen Ebene an (7).

Wenn Sie den Button [SENSIBLE INHALTE EINBLENDEN] anklicken, sehen Sie wie einem Ferkel der Schwanz kupiert wird.

(1) Europäisches Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen. Empfehlungen in Bezug auf Haushühner der Art Gallus Gallus angenommen vom Ständigen Ausschuß am 28. November 1995 auf seiner 30. Sitzung. Artikel 21.

(2) § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3 TierSchG. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 105 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist.

(3) Sambraus, H. H./Steiger, A. (1997). Das Buch vom Tierschutz. Enke Verlag. Stuttgart. S. 122, 181, 205.

(4) Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik (2015). Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. S. 99, 317.

(5) Jaeger, F. (2010). Zootechnische Maßnahmen bei Nutztieren. Nutztierpraxis Aktuell, 35. S. 58.

(6) Baumgartner, J. (2010). Tierärztliche Überlegungen zur Ferkelkastration. na. S. 47.

(7) Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik (2015). Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. S. 99.

Das Grundproblem

Zootechnische Eingriffe verletzen die Unversehrtheit des Tieres (8). Körperteile werden geschädigt oder gänzlich entfernt und das Tier erleidet Schmerzen (9).

Die Maßnahmen sind aus tiergesundheitlicher, verhaltensbiologischer, und tierethischer Sicht als auch im Hinblick auf das psychische Wohlbefinden und die Emotionen problematisch. Schmerzen standen lange im Fokus der Forschung (10), andere Auswirkungen auf die Gefühlslage der Tiere sind eher wenig erforscht. Dennoch kommen jedes Jahr neue Forschungsergebnisse dazu.

Folgende Beispiele verdeutlichen die Probleme:

● Tiergesundheit: Bei der Kastration von Ferkeln kann es zu Störungen in der Wundheilung kommen (11).

● Verhaltensbiologie: Die fehlenden Hörner schränken die Rinder bei ihrer Körperpflege ein (12).

● Ethik: Die Verstümmelungen verletzen die Würde und Unversehrtheit des Tiers, auch Integrität genannt (13).

● Emotionen: Eine Untersuchung ergab, dass Kälber das Enthornen negativ erleben. Sie verspüren eine Aversion gegen die Prozedur, auch wenn sie mit Beruhigungsmitteln und lokaler Betäubung durchgeführt wird.  Ob sie nur einen bestimmten Moment des Eingriffs mit negativen Emotionen wie Angst verbinden, wie das Fixieren, Verabreichen der Medikamente, das Enthornen selbst oder die einsetzenden Schmerzen, konnte der Studienaufbau nicht näher klären (14).

(8) Kunzmann, P. & Schmidt, K. (2012): Philosophische Tierethik. In: Grimm H, Otterstedt C (Hrsg.) Das Tier an sich: Disziplinenübergreifende Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten Tierschutz, S. 37-60.

(9) Hirt, A. / Maisack, C. / Moritz, J. (2016). Tierschutzgesetz. Kommentar, Verlag Franz Vahlen, München, 3. Auflage. S. 276 ff.

(10) Neave, H. W. (2013). Cognitive bias as a method of pain assessment following hot-iron dehorning of dairy calves (Doctoral dissertation, University of British Columbia).

(11) Schwennen, C. (2015). Untersuchungen zur Anwendbarkeit der Isoflurannarkose bei der Ferkelkastration sowie deren Auswirkung auf Produktionsparameter in der Ferkelerzeugung unter konventionellen Produktionsbedingungen (Doctoral dissertation, Hannover, Tierärztliche Hochsch., Diss., 2015). S. 26.

(12) Taschke, A.C. (1995). Ethologische, physiologische und histologische Untersuchungen zur Schmerzbelastung der Rinder bei der Enthornung (behavioural, physiological and histological investigations of pain in cattle during dehorning). Unveröffentlichte Dissertation, Universität Zürich.

(13) Johns, J., Mück, U., Sixt, D., Kremer, H., Poddey, E., Knierim, U. (2019). Werkzeugkasten für die Haltung horntragender Milchkühe im Laufstall. Universität Kassel.

(14) Ede, T., Lecorps, B., von Keyserlingk, M. A., & Weary, D. M. (2019). Calf aversion to hot-iron disbudding. Scientific reports, 9(1), 1-6.

Gut zu wissen

Die zootechnischen Eingriffe erfolgen meist bei noch jungen Tieren, oft während der ersten Lebenstage. Dafür gibt es zwei Gründe. Die Jungtiere können sich im Vergleich zu ausgewachsenen Tieren weniger wirksam wehren. Und früher galt die inzwischen widerlegte Ansicht, dass junge Tiere noch kein voll entwickeltes Schmerzempfinden besitzen. Eine Betäubung sei deswegen nicht notwendig (15).

In der Debatte um nicht-kurative Eingriffe kursieren vermeintlich schlüssige Argumente für die schmerzhaften Maßnahmen. Dazu gehören die Sicherheit für Menschen und Tiere, Tiergesundheit, Befinden oder Hygienebedingungen (16). Die Behandlungen dienen allerdings primär der Arbeits- und Zeitersparnis im Betrieb und sollen Mehrkosten verhindern.

Ein höchst relevantes Problem im Rahmen der zootechnischen Eingriffe ist auch die körperliche Fixierung der Tiere. Eine oder mehrere Personen fangen die Tiere ein und halten sie fest oder fixieren sie in Gestellen. Sei es für die vorherige Gabe von Schmerzmitteln, die Einleitung der Narkose oder den Eingriff selbst. Die Tiere erleben durch die starke körperliche Einschränkung Panik, Angst und Stress (17). Sie zeigen Abwehr- und Fluchtreaktionen (18).

(15) Sambraus, H. H./Steiger, A. (1997). Das Buch vom Tierschutz. Enke Verlag. Stuttgart. S. 122.

(16) Deutscher Bundestag (2017). Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Nicole Maisch, Harald Ebner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 18/11537). Drucksache 18/11818.

(17) Bekoff, M. (Ed.) (2010). Encyclopedia of Animal Rights and Animal Welfare. 2nd Edition. Greenwood Press. S. 261.

(18) Übel, N. (2011). Untersuchungen zur Schmerzreduktion bei zootechnischen Eingriffen an Saugferkeln (Doctoral dissertation, lmu). S. 80 f., 84.

Stand der Dinge

Gesetzliches Verbot der Amputation

Laut Paragraf 6 des Tierschutzgesetzes ist es verboten, Körperteile vollständig oder teilweise zu amputieren oder Organe und Gewebe vollständig oder teilweise zu entnehmen oder zu zerstören. Das Tierschutzgesetz schützt damit die Unversehrtheit der Tiere (19).

Gesetzliche Ausnahmen des Amputationsverbots

Das Verbot gilt nicht für eine Reihe von üblichen zootechnischen Eingriffen, „wenn der Eingriff im Einzelfall für die vorgesehene Nutzung des Tieres zu dessen Schutz oder zum Schutz anderer Tiere unerlässlich ist“. Damit formuliert das Tierschutzgesetz eine Ausnahmeregelung, die keinesfalls nur in Einzelfällen vorkommt, sondern breite Anwendung in der landwirtschaftlichen Tierhaltung findet.

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beschreibt es wie folgt: In der Praxis wird das Amputationsverbot “überwiegend nicht ernsthaft berücksichtigt, denn das würde bedeuten, dass zunächst entsprechend vorliegenden Erkenntnissen die Haltungsbedingungen so zu verändern wären, dass die Eingriffe überflüssig werden” (20).

Folgende Eingriffe sind in Deutschland üblich:

● Entfernen von Hornanlagen bei Rindern, Schafen und Ziegen

● Entfernen der Hoden bei Rindern, Schweinen, Schafen und Ziegen

● Kupieren des Schwanzes bei Rindern, Schweinen und Schafen

● Kürzen des Schnabels bei Hühnern, Puten und Enten

● Amputation von Zehengliedern bei Zuchthähnen

● Abschleifen der Eckzähne bei Schweinen

Neben der Entfernung von Körperteilen sind weitere Modifikationen von tierlichen Körpern üblich. Besonders verbreitet, da gesetzlich vorgeschrieben, ist die Kennzeichnung. Es ist erlaubt, Rindern, Schweinen, Schafen und Ziegen Marken an den Ohren anzubringen. Mit einer Zange wird das Ohr gelocht und die Marke befestigt. Es ist auch erlaubt, die Ohren zu tätowieren (21).

Man darf an Hühnern und anderen Vögeln sogenannte Flügelmarken befestigen (22). Dafür durchsticht man einen Hautbereich im Flügel mit der Marke. Diese Kennzeichnung ist bei Legehennen und Masthühnern nicht üblich. Bei Zuchttieren ist es eine Form der Kennzeichnung von Individuen, um ihre Abstammung nachzuvollziehen (23).

Statt die Tiere zu tätowieren oder ihnen Marken einzuziehen, darf man ihnen auch elektronische Transponder implantieren (24). Dies ist jedoch in der landwirtschaftlichen Tierhaltung kaum verbreitet. Nur bei Pferden ist eine Kennzeichnung mit Mikrochip vorgeschrieben (25).

Schweine, die geschlachtet werden sollen, müssen neben ihrer Ohrmarke mit einer Nummer gekennzeichnet werden. Für die Markierung hat man sich bundesweit auf das Vorgehen mit einem Schlagstempel geeinigt (26). An einer Metallstange sind Zacken in Form von Nummern befestigt. Damit schlagen die Landwirt_innen auf beide Seiten des Körpers der Schweine, um die Zahlen in die Haut zu stechen.

Gesetzliche Ausnahmen vom Betäubungsgebot

Obwohl das Tierschutzgesetz grundsätzlich eine wirksame Betäubung für schmerzhafte Eingriffe vorschreibt, beinhaltet es viele Ausnahmen. Eine Schmerzausschaltung ist laut Gesetz bei folgenden Eingriffen nicht notwendig:

● Enthornen von unter sechs Wochen alten Kälbern

● Kastration von unter vier Wochen alten männlichen Kälbern, Lämmern und Ziegenkitzen

● Schwanzkürzen bei unter vier Tage alten Ferkeln und unter acht Tage alten Lämmern

● Entfernen des krallentragenden letzten Zehengliedes bei Masthahnenküken, die als Zuchthähne genutzt werden sollen, während des ersten Lebenstages

● Abschleifen der Eckzähne von unter acht Tage alten Ferkeln.

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(19) § 6 TierSchG. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 105 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist.

(20) Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik (2015). Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. S. 99.

(21) § 5 TierSchG. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 105 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist.

(22) § 5 TierSchG. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 105 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist.

(23) Hörning, B., Schmelzer, E., Kaiser, A., Günther, I., Böttcher, F., Rapp, F., ... & Keppler, C. (2020). Konzeption einer Ökologischen Hühnerzucht-mit besonderer Beachtung einer möglichen Zweinutzung (Verbundvorhaben). S. 9.

(24) § 5 TierSchG. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 105 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist.

(25) Durchführungsverordnung (EU) 2015/262 der Kommission vom 17. Februar 2015 zur Festlegung von Vorschriften gemäß den Richtlinien 90/427/EWG und 2009/156/EG des Rates in Bezug auf die Methoden zur Identifizierung von Equiden (Equidenpass-Verordnung).

(26) Landkreis Haßberge (Ohne Datum). Merkblatt Schlagstempel-Kennzeichnung für Schlachtschweine (Vorgaben für eine bundesweite Rückverfolgbarkeit).

Für die routinemäßig durchgeführte Ferkelkastration gilt seit 2021 die gesetzliche Pflicht der Betäubung – nach einer Übergangszeit von insgesamt sieben Jahren (27). Der Eingriff muss nun unter vollständiger Schmerzausschaltung erfolgen. Eigentlich dürfen nur Tierärzt_innen Narkosen durchführen, aber die Anfang Januar 2020 eingeführte Ferkelbetäubungssachkundeverordnung hat diesen Vorbehalt aufgehoben: Landwirt_innen dürfen die Betäubung mit dem Narkosegas Isofluran nun selbst vornehmen (28).

Für das Kürzen der Schnäbel bei Hühner-, Puten- und Entenküken gilt laut Paragraf 5 des Tierschutzgesetzes eigentlich eine Betäubungspflicht. Mehrere Kleine Anfragen auf Länderebene ergaben jedoch, dass die Brütereien keine Betäubungsmittel einsetzten (29), (30), (31). Auf Bundesebene gibt es keine Informationen, ob Betäubungsmittel eingesetzt werden (32).

Es gilt nicht als zootechnischer Eingriff, Vögeln die Krallen zu schneiden oder zu stutzen, solange man die biologischen oder ethologischen (verhaltensbiologischen) Funktionen der Körperteile nicht beeinträchtigt (33). Da die Maßnahmen allerdings meist unter Zeitdruck vorgenommen werden, kann es zur versehentlichen Amputation der Zehenglieder kommen. Dann handelt es sich durchaus um eine schmerzhafte Amputation, die laut Tierschutzgesetz verboten ist (34).

Die Zahl der betroffenen Tiere

Eine genaue Angabe der betroffenen Tiere ist nicht möglich. Die zootechnischen Eingriffe müssen nicht statistisch erhoben werden. In den Artikeln zu den Prozeduren gehen wir näher auf Schätzungen ein.

Hier erfahren Sie mehr zu den Eingriffen Ferkelkastration und Enthornen.

Status in der ökologischen Tierhaltung

Für die ökologische Tierhaltung gilt ebenfalls das Tierschutzgesetz. Darüber hinaus besagt die neue EU Bio-Verordnung, dass das Schwanzkupieren bei Schafen, Schnabelkürzen bei “Geflügeltieren” und Enthornen bei Rindern, Schafen und Ziegen unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist (35).

Politisches Geschehen

Die tierschutzpolitische Debatte dreht sich seit einigen Jahren um Fragen zur Weiterentwicklung und Zukunftsfähigkeit der sogenannten Nutztierhaltung. In diesem Kontext stehen auch zootechnische Eingriffe auf der Tagesordnung. Es wurden einige Gesetzesänderungen und Freiwillige Vereinbarungen implementiert. Allerdings bewegt sich das politische Engagement im Rahmen der Veränderung der Tierhaltung, die nicht zwangsläufig einen Ausstieg aus den zootechnischen Eingriffen vorsieht.

Jüngste Gesetzesänderungen

Bereits 2012 legten die damaligen Regierungsparteien CDU/CSU und FDP eine Änderung des Tierschutzgesetzes vor, die den Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration vorsieht (36). 2018 und damit kurz vor Ende der mehrjährigen Frist, setzten die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD jedoch einen Gesetzesentwurf für eine Fristverlängerung durch (37). Landwirt_innen durften so zwei weitere Jahre lang Ferkel ohne wirksame Schmerzausschaltung die Hoden herausschneiden.

Freiwillige Vereinbarungen

Neben den Gesetzesänderungen trafen Politik und Landwirtschaft auch Freiwillige Vereinbarungen. Im Herbst 2014 startete das Landwirtschaftsministerium die Initiative „Eine Frage der Haltung – Neue Wege für mehr Tierwohl“. Sie hat das Ziel, nicht-kurative Eingriffe bei landwirtschaftlich genutzten Tieren zu beenden. Die Initiative fokussiert sich auf drei zootechnische Eingriffe:

● das Kupieren des Schnabels bei Legehennen und Puten

● das Kupieren der Schwänze bei Ferkeln

● das Enthornen von Rindern (38)

Statt auf verbindliche gesetzliche Vorgaben setzt die Politik auf freiwillige Vereinbarungen. Die Bundesregierung begründet 2015 diese Entscheidung wie folgt: “Bei der Beendigung nicht-kurativer Eingriffe setzt die Bundesregierung auf Vereinbarungen mit der Wirtschaft, um die bereits bestehenden rechtlichen Regelungen effektiv umzusetzen” (39). Zwei Jahre später positioniert sich das Landwirtschaftsministerium nur wenig entschlossener. In der Nutztierstrategie heißt es “Wo das Engagement der Wirtschaft nicht zu den notwendigen Verbesserungen führt, kann aber auch eine Änderung des Rechtsrahmens erforderlich sein” (40).

Schnabelkürzen

2015 einigte sich das Bundeslandwirtschaftsministerium mit der Geflügelindustrie auf die freiwillige Beendigung des Schnabelkürzens. Seit August 2016 werden Hühnerküken der Legelinien, die in Deutschland Eier legen sollen, nicht mehr die Schnäbel gekürzt. Die Verzichtserklärung lässt allerdings Hühnerküken für den Export außen vor (41). Die Vereinbarung gilt grundsätzlich auch für Puten. Allerdings hat man den Ausstieg aus dem Schnabelkürzen bei Puten bislang nicht umgesetzt (42).

Portrait einer Henne mit gekürztem Schnabel. Der Hintergrund ist verschwommen. Es sind jedoch weitere Hühner zu erkennen.
©Stefano Belacchi / Essere Animali / We Animals Media

(27) § 21 Nr. 1 TierSchG. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 105 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist.

(28) Ferkelbetäubungssachkundeverordnung. Verordnung zur Durchführung der Betäubung mit Isofluran bei der Ferkelkastration durch sachkundige Personen (Ferkelbetäubungssachkundeverordnung1,2 - FerkBetSachkV).

(29) Landtag von Baden-Württemberg (2019). Kleine Anfrage der Abg. Thekla Walker, Beate Böhlen, Martina Braun, Martin Hahn, Reinhold Pix und Alexander Schoch GRÜNE und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Schnabelamputationen in der Geflügelhaltung in Baden-Württemberg.

(30) Landtag Nordrhein-Westfalen (2019). Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2267 vom 9. April 2019 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/5715. Wie wird das Kupieren von Schnäbeln in der Geflügelhaltung in NRW praktiziert?

(31) Niedersächsischer Landtag (2019). Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT  mit Antwort der Landesregierung auf die Anfrage der Abgeordneten Miriam Staudte (GRÜNE). Werden niedersächsische Enten, Puten, Gänse und Hühner sachgerecht beim Schnabelkürzen betäubt?

(32) Deutscher Bundestag (2019). Antwort auf Schriftliche Frage Nr. 108: Einsatz von Schmerz- und Betäubungsmitteln bei der Schnabelteilamputation von Geflügel.

(33) Hirt, A. / Maisack, C. / Moritz, J. (2016). Tierschutzgesetz. Kommentar, Verlag Franz Vahlen, München, 3. Auflage. S. 276 ff.

(34) Knierim, U. et al. (2005). Mindestanforderungen an die Haltung von Moschusenten (Cairina moschata dom.). Schlussbericht des Forschungsauftrags 01HS039. S. 118.

(35) Verordnung (EU) 2018/48 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates.

(36) Deutscher Bundestag (2012). Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes. Drucksache 17/105703.

(37) Bundesrat (2018). Beschluss des Deutschen Bundestages. Viertes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes. Drucksache 598/18.

(38) Deutscher Bundestag (2015). Antwort auf Schriftliche Frage Nr. 7: Bewertung der verschiedenen Methoden zur Kastration männlicher Lämmer unter Gesichtspunkten des Tierschutzes und der Praktikabilität.

(39) Deutscher Bundestag (2015). Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, Matthias Gastel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsetzung von Tierschutzankündigungen innerhalb der 18. Wahlperiode im Bereich der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung – Drucksache 18/6458 – (Drucksache 18/6619).

(40) Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (2019). Nutztierstrategie. Zukunftsfähige Tierhaltung in Deutschland.

(41) Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (2015). Vereinbarung zur Verbesserung des Tierwohls, insbesondere zum Verzicht auf das Schnabelkürzen in der Haltung von Legehennen und Mastputen.

(42) Deutscher Bundestag. Wissenschaftliche Dienste (2020). Sachstand Nutztiere und Tierschutz-Nutztierhaltung. S. 12.

Schwanzkupieren

Ebenfalls 2015 kündigte der damalige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt eine freiwillige Vereinbarung zum Verzicht auf das Kupieren der Schwänze bei Ferkeln an (43). Auf Bundesebene gibt es bislang keine derartige Vereinbarung.

2018 ergab ein Audit der europäischen Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, dass bei 95 Prozent der Schweine in Deutschland der Schwanz kupiert ist (44). Dieses Vorgehen widerspricht der europäischen Richtlinie zum Schutz von Schweinen. Das routinemäßige Schwanzkupieren ist demnach seit 1994 verboten (45).

Die Branchenvereinbarung ist in den Hintergrund gerückt. Dafür trat 2019 der Nationale Aktionsplan Kupierverzicht in Kraft. Es lässt sich allerdings bislang nicht sagen, inwieweit durch den bundesweiten Aktionsplan die Anzahl der kupierten Schweine gesunken ist. Auch, weil es unter bestimmten Bedingungen weiterhin erlaubt ist, die Schwänze abzuschneiden. Die Evaluation des Aktionsplans ist noch nicht abgeschlossen. Unklar ist auch, ob Zahlen zu kupierten Tieren überhaupt veröffentlicht werden.

Enthornung

Die Initiative „Eine Frage der Haltung – Neue Wege für mehr Tierwohl“ zielt auch auf die Enthornung ab. Allerdings handelt die Initiative nicht stringent. Eigentlich sollen nicht-kurative Eingriffe beendet werden. Im Falle der Enthornung von Rindern steht jedoch vor allem in der Kritik, dass sie betäubungslos durchgeführt wird. Ein freiwilliges Übereinkommen soll die Betäubung beim Eingriff sicherstellen (46).

Im Frühjahr 2015 beschlossen die Agrarminister_innen auf ihrer Konferenz, dass Beruhigungs- und Schmerzmittelgaben bei der Enthornung von Rindern verpflichtend sein sollen (47). Statt Rinder behornt zu lassen, ist es weiterhin erlaubt, Kälbern die Hornanlagen zu veröden.

2016 hieß es seitens des Agrarministeriums, dass ein Entwurf “weitestgehend mit den betroffenen Verbänden abgestimmt” wurde (48). Drei Jahre später gibt das Agrarministerium in seiner Nutztierstrategie bekannt, dass es einen Entwurf „Vereinbarung zur Verbesserung des Tierwohls bei Rindern, insbesondere zum Enthornen von Kälbern“ gebe (49). Der aktuelle Stand ist derzeit unklar.

Einen tatsächlichen Ausstieg aus der Praxis der Enthornung sieht die Bundesregierung dagegen nur bei Rindern vor, die auf Hornlosigkeit gezüchtet werden – also von Geburt an gar keine Hörner ausbilden. Allerdings ist auch die Züchtung auf Hornlosigkeit ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Tiere.

Mehr dazu erfahren Sie in unserem Artikel zum Enthornen von Rindern.

Durch den Spalt einer Wand ist eine schwarzweiße Kuh mit abgesägten  Hörnern und Saugschutzring zu erkennen.
©Andrew Skowron

Zum Mitnehmen

Landwirt_innen nutzen zootechnische Eingriffe, um die Tiere an die schlechten Haltungsbedingungen anzupassen und um aus der Haltung resultierende Probleme zu bekämpfen. Als solches wird die Praxis von der Regierung weitgehend geduldet.

Die Eingriffe sind jedoch ein Indikator dafür, dass es tierschutzrelevante Probleme in der landwirtschaftlichen Tierhaltung gibt. Schmerzen bei den Eingriffen zu minimieren oder die Eingriffe bei einigen Nutzungsgruppen durch freiwillige Vereinbarungen zu verbieten, sind zwar Schritte in die richtige Richtung. Doch handelt es sich auch dabei um reine Symptombekämpfung und lässt das grundsätzliche Problem unbeachtet: Die Eingriffe verletzen die Unversehrtheit der Tiere. Das widerspricht dem Gedanken des Tierschutzgesetzes, wonach die Unversehrtheit der Tiere zu schützen ist.

In der Tierschutzarbeit ist der Fokus deswegen immer wieder auf den Ausstieg aus zootechnischen Eingriffen zu lenken. Ausnahmen für routinemäßig durchgeführte, nicht-kurative Maßnahmen dürfen nicht das Amputationsverbot entkräften.

Neue Erkenntnisse zum subjektiven Erleben von Tieren stärken diese Forderung. Denn neben der Verletzung der körperlichen Integrität sind auch die psychischen Auswirkungen auf die Tiere von Bedeutung. Sie lassen sich in das ethische Tierschutzverständnis des Tierschutzgesetzes einflechten. Laut Gesetz ist es verboten, einem Tier ohne vernünftigen Grund Leiden zuzufügen. In der Abwägung des vernünftigen Grundes sind tierliche Emotionen unbedingt zu beachten.

(43) Deutscher Bundestag (2015). Antwort der Bundesregoerung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, Matthias Gastel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Umsetzung von Tierschutzankündigungen innerhalb der 18. Wahlperiode im Bereich der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung – Drucksache 18/6458 – (Drucksache 18/6619).

(44) Europäische Kommission. Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (2018). Bericht über ein Audit in Deutschland. 12. bis 21. Februar 2018. Bewertung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Verhütung von Schwanzbeißen und zur Vermeidung des routinemäßigen Kupierens von Schwänzen bei Schweinen.

(45) Richtlinie 2008/120/EG des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen.

(46) Deutscher Bundestag (2015). Antwort der Bundesregoerung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, Matthias Gastel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Umsetzung von Tierschutzankündigungen innerhalb der 18. Wahlperiode im Bereich der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung – Drucksache 18/6458 – (Drucksache 18/6619).

(47) Agrarministerkonferenz (2015). Ergebnisprotokoll der Agrarministerkonferenz am 20. März 2015 in Bad Homburg; KTBL (2017). Zukunft der deutschen Nutztierhaltung. S. 136.

(48) Deutscher Bundestag (2016). Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, Matthias Gastel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/9906 – Ankündigungen des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt zum Tierschutz bei Nutztieren und Stand der Umsetzung.

(49) Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (2019). Nutztierstrategie. Zukunftsfähige Tierhaltung in Deutschland.

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A rich text element can be used with static or dynamic content. For static content, just drop it into any page and begin editing. For dynamic content, add a rich text field to any collection and then connect a rich text element to that field in the settings panel. Voila!

How to customize formatting for each rich text

Headings, paragraphs, blockquotes, figures, images, and figure captions can all be styled after a class is added to the rich text element using the "When inside of" nested selector system.

What’s a Rich Text element?

The rich text element allows you to create and format headings, paragraphs, blockquotes, images, and video all in one place instead of having to add and format them individually. Just double-click and easily create content.

Static and dynamic content editing

A rich text element can be used with static or dynamic content. For static content, just drop it into any page and begin editing. For dynamic content, add a rich text field to any collection and then connect a rich text element to that field in the settings panel. Voila!

How to customize formatting for each rich text

Headings, paragraphs, blockquotes, figures, images, and figure captions can all be styled after a class is added to the rich text element using the "When inside of" nested selector system.

(SENSIBLE INHALTE EINBLENDEN)

What’s a Rich Text element?

The rich text element allows you to create and format headings, paragraphs, blockquotes, images, and video all in one place instead of having to add and format them individually. Just double-click and easily create content.

Static and dynamic content editing

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What’s a Rich Text element?

The rich text element allows you to create and format headings, paragraphs, blockquotes, images, and video all in one place instead of having to add and format them individually. Just double-click and easily create content.

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